Peptide sind kleine Eiweißmoleküle, die viele Prozesse im menschlichen Körper steuern. Manche bekämpfen als Teil des angeborenen Immunsystems Eindringlinge wie etwa Bakterien und Viren. Zu dieser „Abwehrtruppe“ gehört auch Lactoferrin. Wie schlagkräftig daraus gewonnene, antimikrobielle Peptide – so gennannte AMPs – sind, haben Forscher der Uni Graz jetzt gezeigt. Und zwar anhand des E. coli-Bakteriums, das vom harmlosen Darmbewohner zum häufigsten Verursacher von Durchfall und Entzündungen werden kann. Spoiler alert: Am Ende dieser Geschichte steht ein Mord!
Den Mördern auf der Spur
Tatsächlich machten die AMPs mit den E. coli-Bakterien kurzen Prozess. „Innerhalb weniger Sekunden hatten sie die äußerste Schutzhülle des Bakteriums überwunden und waren ins Zellinnere eingedrungen“, beschreibt Enrico Semeraro den blitzartigen Überfall, bei dem es keine Überlebenden gab. „Was genau die AMPs innerhalb der Zelle machen, also wie sie die Bakterien töten, bleibt vorerst noch ein Geheimnis. Unsere Publikation hat, einem Krimi gleich, ein echtes Cliffhanger-Ending“, räumt Georg Pabst ein, „und natürlich gibt es die üblichen Verdächtigen“.
Tatsächlich ist das Besondere an dem Paper, erschienen im online-Journal eLife, nicht die umfassende Aufklärung des „E.coli-Mords“. Vielmehr ist es der Zugang, den das Team gewählt hat, um die AMPs bei ihrer Attacke zu beobachten – und zwar in Echtzeit und zeitgleich auf Längenskalen, die die Bakteriengröße (Mikrometer) und molekularen Strukturen (Nanometer) beschreiben. „Unsere Technik kann man auch auf andere Fragestellungen zu molekularen Abläufen in Zellen anwenden. Damit können wir für bestimmte Probleme neue Lösungen finden, die sonst nicht zugänglich sind“, unterstreicht Karl Lohner.
Altbewährtes neu gedacht
Der „Clou“ beim Zugang der Biophysiker: Sie haben eine altbewährte Methode zur strukturellen Untersuchung nicht-kristalliner Materialien – die so genannte Kleinwinkelstreuung – erstmals für die genaue „Durchleuchtung“ von Bakterien eingesetzt. „Die Kleinwinkelstreuung gibt uns unglaublich viele Daten zur Beschaffenheit der molekularen Strukturen in diesen Organismen. Das war zugleich Chance und Herausforderung. Denn wir mussten mittels einer Verknüpfung von Mathematik, Physik, Chemie und Molekularbiologie in mühsamer Kleinarbeit herausfiltern, was für uns relevant war“, erklärt Enrico Semeraro.
Der Aufwand hat sich doppelt gelohnt: Einerseits haben die Wissenschafter damit eine neue Verwendungsmöglichkeit der Kleinwinkelstreuung aufs Tapet gebracht. Andererseits könnten die Erkenntnisse rund um das schnelle Ende der E. coli-Bakterien auch das Design von neuartigen Antibiotika künftig verbessern.
Das Ende von Schlüssel und Schloss
Im Moment funktionieren diese nämlich nach einem „Schloss-Schlüssel-Prinzip“, sind also jeweils genau auf das zu bekämpfende Bakterium „eingestellt“. Wenn die Forschung mehr über die Funktionsweise der AMPs herausfindet, könnten diese als „Auftragskiller“ mit konkreten Anweisungen ausgestattet werden und so den Bakterien, die gegen herkömmliche Methoden immer resistenter werden, ein Schnippchen schlagen. „Das ist zwar noch Zukunftsmusik, dennoch glauben wir, dass unser Ansatz für solche Überlegungen richtig und wichtig ist“, zeigt sich Semeraro überzeugt.
Think outside the box
Aus bewährten Denkmustern auszubrechen – das hat den gebürtigen Italiener übrigens auch nach Graz geführt. Der Zufall brachte Enrico Semeraro und Georg Pabst auf einer Konferenz in Dresden zusammen. Kleinwinkelstreuung und E. coli wurden schnell ein Thema. „Und dann hat es ‚Klick‘ gemacht“, schmunzelt Pabst. Sieben Jahre später sind die beiden Kollegen am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz und haben die Idee mittels einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb des Exzellenzfelds BioHealth erfolgreich umgesetzt. Ihre aktuelle Publikation zeigt, wie wichtig Kreativität, unkonventionelle Ideen und grenzüberschreitende Ansätze auch in der naturwissenschaftlichen Forschung sind.
Publikation: Semeraro et al. „Lactoferricins impair the cytosolic membrane of Escherichia coli within a few seconds and accumulate inside the cell”. eLife. DOI: https://doi.org/10.7554/eLife.72850