Das maligne Melanom, auch schwarzer Hautkrebs genannt, ist eine der gefährlichsten Krebsarten. Obwohl es nur vier Prozent aller Hautkrebserkrankungen ausmacht, ist es für fast 80 Prozent der Todesfälle durch Hautkrebs verantwortlich. Bei früher Erkennung lässt sich der Tumor gut behandeln, doch sobald der Krebs Metastasen gebildet hat, breitet er sich aggressiv aus und die Heilungschancen sinken rapide. Das liegt auch daran, dass es kaum langfristig effektive Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Ein vielversprechender Kandidat für einen Wirkstoff gegen das Maligne Melanom stammt aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Nun gelang der Nachweis seiner Wirksamkeit. In einem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanzierten, internationalen Projekt unter der Leitung von Rudolf Bauer vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaftenwurde der Universität Graz wurde der Wirkstoff an Krebszellen und an Mäusen erfolgreich getestet. Darüber hinaus gelang es, den Wirkstoff zu modifizieren und die Wirkung weiter zu verbessern.
Hunderte Pflanzenextrakte analysiert
„Ausgangspunkt war die Frage, welche Pflanzen in der TCM als Heilmittel gegen krebsähnliche Erkrankungen verwendet werden und ob sich daraus ein Wirkstoff gegen Krebs gewinnen lässt“, erklärt Projektmitarbeiterin Nadine Kretschmer von der Medizinischen Universität Graz. „Die Definition des Begriffs Krebs variiert zwischen der TCM und der westlichen Medizin, deshalb waren alle Mittel interessant, die gegen Krebs, aber auch krebsähnliche Krankheiten verabreicht werden.“ In einem Pilotprojekt wurden eine Datenbank mit mehreren hundert potenziellen Pflanzen erstellt, davon 76 ausgewählt und aus getrockneten Proben 253 Extrakte hergestellt und an verschiedenen Krebszellen getestet. Dabei wurde eine Pflanze identifiziert, die aussichtsreich genug für weitere Studien schien. Der wissenschaftliche Name der Pflanze ist Onosma paniculata Bureau & Franch., eine Art von Lotwurz.
Wirkstoff erfolgreich getestet
„Wir testeten eine Substanz namens β-β-Dimethylacrylshikonin, die wir aus der Pflanze gewonnen hatten, direkt an Zellen von Malignen Melanomen. Dabei konnten wir die Wirksamkeit belegen“, sagt Kretschmer. Die Substanz zerstörte die Krebszellen. Die guten Ergebnisse ermunterten das Forschungsteam zu ersten In-vivo-Tests. Dabei wurden an Hautkrebs erkrankte Nacktmäuse mit dem Mittel behandelt, indem man es direkt in die Tumoren spritzte, um zu sehen, ob es Nebenwirkungen gibt. „Auch das war erfolgreich, wir sahen keine Nebenwirkungen und die Tumoren veränderten sich und starben ab“, erkärt die Forscherin. Dabei wurde sowohl Apoptose, also ein vom Körper induziertes, kontrolliertes Absterben der Zellen beobachtet, als auch Nekrose, also unkontrolliertes Absterben.
Wirksamkeit erhöht
„Danach haben wir versucht, die Substanz zu modifizieren, um zu sehen, ob wir die Wirksamkeit noch verbessern können“, berichtet die Forscherin. Von mehreren versuchten Modifikationen zeigte sich ein bestimmtes Shikoninderivat als besonders wirkungsvoll. Die Substanz eignet sich theoretisch zur Entwicklung eines Medikaments, doch bis ein solches verfügbar ist, ist der Weg noch weit. „Dazu sind größere Studien nötig. Und auch die Art der Verabreichung ist noch offen.“ Es gibt dazu zwei geplante Folgeprojekte.
TCM als Inspiration
Kretschmer betont, dass die TCM nur die Inspiration zu dem neuen Wirkstoff war. Wie die Pflanze in der TCM genau wirkt, sei weiterhin nicht geklärt. „Es ist nicht klar, wie diese bei der traditionellen Anwendung in der TCM seine Wirkung entfaltet. In der TCM wird üblicherweise nicht nur eine einzelne Pflanze verwendet, meist geht es um eine Mischung, die auf verschiedene Arten zubereitet werden kann“, sagt Kretschmer. Die Pflanzen werden meist als Tee zubereitet und längere Zeit zwei Mal ausgekocht. „Kochen wir unsere Pflanze auf diese Art aus, sehen wir die Antitumorwirkung im Zellkulturexperiment nicht“, erläutert Kretschmer. „Allerdings gibt es in der TCM auch eine Zubereitungsmethode mittels Öl, das dann auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen wird. Darin sind die wirksamen Shikonine in höherer Konzentration enthalten.“
Im Lauf des Projekts fand man außerdem eine Möglichkeit, die als TCM-Mittel verkauften Lotwurz-Arten auf ihre Identität zu testen. „Es gibt Wurzeln, die jener der von uns untersuchten Pflanze sehr ähnlich sehen und wir haben festgestellt, dass in China die Arten oft unter falschen Namen verkauft werden.“ Das ist problematisch, weil in manchen der verkauften Pflanzen Stoffe enthalten sind, die schädlich sein können. Kretschmer und das Forschungsteam fanden eine dünnschichtchromatografische Methode, mit der die Pflanzen unterschieden werden können, und die einfach genug ist, um etwa auch in Apotheken anwendbar zu sein. Das Grundlagenprojekt hatte eine Laufzeit von vier Jahren und wurde Anfang 2019 abgeschlossen. Man kooperierte dabei mit der Medizinischen Universität in Graz und dem Helmholtz-Institut in München.
Publikationen:
Kretschmer, N.; Deutsch, A.; Durchschein, C.; Rinner, B.; Stallinger, A.; Higareda-Almaraz, J.C.; Scheideler, M.; Lohberger, B.; Bauer, R.: Comparative Gene Expression Analysis in WM164 Melanoma Cells Revealed That β-β-Dimethylacrylshikonin Leads to ROS Generation, Loss of Mitochondrial Membrane Potential, and Autophagy Induction, in: Molecules 2018, 23
Durchschein, C.; Hufner, A.; Rinner, B.; Stallinger, A.; Deutsch, A.; Lohberger, B.; Bauer, R.; Kretschmer, N.: Synthesis of Novel Shikonin Derivatives and Pharmacological Effects of Cyclopropylacetylshikonin on Melanoma Cells, in: Molecules 2018, 23
Jahanafrooz, Z; Stallinger, A; Anders, I; Kleinegger, F; Lohberger, B; Durchschein, C; Bauer, R; Deutsch, A; Rinner, B; Kretschmer, N.: Influence of silibinin and β-β-dimethylacrylshikonin on chordoma cells, in: Phytomedicine 2018, 49